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Psychische Erkrankungen: Vermeiden Sie Selbstdiagnosen auf Tiktok, Instagram und ähnlichen Websites


Auf Tiktok und Instagram gibt es viele Videos und Posts, die sich mit Symptomen psychischer Krankheiten beschäftigen. Psychologin Siri Frericks erklärt im stern-Interview, wann das positiv ist und warum Selbstdiagnosen problematisch sein können.

Auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Tiktok sind Videos oder Beiträge zu Symptomen psychischer Krankheiten sehr beliebt. Woher kommt das? 

Siri Frericks: Geschichten zu extremen Erlebnissen haben uns schon immer fasziniert – sei es in Filmen oder Romanen. Wir konsumieren gerne Inhalte, die Menschen und ihre Gefühle thematisieren, weil es uns emotional berührt. Wenn ein Mensch auf Tiktok oder Instagram von den eigenen psychischen Problemen berichtet, kann uns das ein Stück weit unterhalten. Wer aber nicht in Balance ist oder sich psychisch nicht gesund fühlt, kann auf der Suche sein – er oder sie will diesen Zustand einordnen. Finde ich einen Beitrag, der beispielsweise die Symptome einer Depression erklärt, finde ich mich darin möglicherweise wieder und beginne, mich näher damit zu beschäftigen. Ein weiterer Punkt ist, dass im analogen Leben noch nicht so offen über psychische Krankheiten gesprochen wird, da haben viele Menschen mehr Hemmungen. Social Media können an dieser Stelle einen sicherer empfundenen Rahmen bieten, um sich auszutauschen.  

Siri Frericks

Siri Frericks ist Psychologin bei der Meditations-App "7Mind". Sie hat vorher Erfahrungen im Klinikalltag gesammelt. Sie nutzt ihre Kenntnisse in klinischer Psychologie und Psychotherapie für die Entwicklung von Online-Präventionskursen für "7Mind". 

© /mind

Ist es gut, dass auf Social Media über ADHS, Depressionen oder Panikattacken gesprochen wird, damit psychische Krankheiten oder Störungsbilder aus einer Tabu-Ecke kommen? 

Es kann hilfreich sein, um psychische Krankheiten zu enttabuisieren, wenn die Inhalte motivierend sind. Jemand fühlt sich die ganze Zeit schlecht, weiß aber nicht warum. Sieht er oder sie nun einen Video oder Post über Depressionen und erkennt die beschriebenen Symptome auch an sich selbst, kann es ein Impuls sein, um sich ein Beratungsangebot zu suchen. Oder gar eine Therapie zu beginnen. Werden auf Social Media weiterführende Informationen verlinkt oder Adressen, wo sich Betroffene hinwenden können, ist das sehr positiv. Die eigene Selbstreflexion kann angeregt werden. Scham und Schuldgefühle können zurückgehen, wenn User:innen von Social Media-Plattformen merken, dass eine Person, deren Inhalte sie mögen, die gleichen Probleme hat.

Und wann kann es problematisch sein?

Problematisch wird es dann, wenn ich tatsächlich keine Depression habe, aber durch die Inhalte denke, dass ich depressiv sei. Es kann dazu führen, dass ich mich in eine falsche Richtung informiere und verwirrt werde. Es kann auch schwierig sein, wenn sich destruktive Gruppen bilden. Geht es darum zu zeigen, wer am meisten leidet oder wem es am schlechtesten geht, kann dies leicht in eine Abwärtsspirale führen. 

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Auf Tiktok finden sich unter dem Hashtag "selfdiagnosis" viele Beiträge, die sagen, dass Selbstdiagnosen gültig sind. Inwiefern würden Sie dies bejahen und wo geraten diese an ihre Grenzen?

Bei einer Selbstdiagnose ist schon die erste Frage, wie jemand überhaupt zu der Diagnose kommt. In der Psychologie funktioniert es nicht so, dass jemandem eine Depression diagnostiziert wird, nur weil  die Person zum Beispiel antriebslos ist oder einen Interessenverlust aufzeigt. Heißt: Es reicht nicht, sich in einem oder zwei typischen Symptomen wiederzuerkennen, um wirklich sicher zu sein, diese psychische Krankheit zu haben. In der Psychologie werden Fragebögen, strukturierte Interviews und Checklisten genutzt, um Diagnosen zu stellen. Werden in einem Tiktok-Video verschiedene Symptome vorgestellt und ich hake in meinem Kopf eine Art Checkliste ab, ist das keine verlässliche Quelle. Und wenn sich jemand nur selbst den Stempel "depressiv" aufdrückt, ist auch die Frage, was dies bringen soll. Erst, wenn sich eine Person Hilfe bei Ärzt:innen oder Therapeut:innen sucht, kann sie herausfinden, woher die Symptome stammen und wie sie damit umgehen lernen kann. Es gibt im Netz auch valide Selbsttests. Die Deutsche Depressionshilfe bietet zum Beispiel einen kurzen Online-Test, der erste Hinweise für eine Depression erkennen kann. Außerdem werden dort weitere Informationen und Hilfsadressen zur Verfügung gestellt. Ein Selbsttest im Internet ersetzt allerdings nie eine Diagnose. Eine solche können nur ausgebildete Diagnostiker:innen stellen. 

Können solche Selbsttests sinnvoll sein?

Ich denke, es kann gut dafür sein, dass man vorbereitet in ein Ärzt:innengespräch geht. Gerade für Menschen, die eine Depression haben, kann ein solcher Test dafür sorgen, dass sie ihre Probleme als valide empfinden. Durch die Depression kommen ihnen sonst zum Beispiel Gedanken, dass es ihnen nicht schlecht genug gehe oder sie keine Therapie verdient hätten. 

Auf was sollte ich achten, wenn ich mich im Internet über psychische Krankheiten informieren möchte?

Es gibt Informationen und Tests im Netz, die hilfreich sein können. Es gibt allerdings starke Qualitätsunterschiede. Wie bei anderen Informationen auch, sollten vorab die Quellen geprüft werden. Nutzer:innen sollten schauen, ob ihnen der Absender vertrauenswürdig erscheint. Ich kann zum Beispiel schauen, ob eine Institution oder ein wissenschaftliches Institut der Absender ist. 

Mir ist auf Instagram aufgefallen, dass viele Influencer:innen in ihren Storys beiläufig erwähnen, dass ihnen der Alltag durch ADHS schwerfällt, sie hochsensibel sind oder eine Panikattacke haben. Ist es vielleicht auch "trendy" ein Problem zu haben?

Es kann natürlich sein, dass Influencer:innen das erwähnen, weil sie die Krankheiten enttabuisieren möchten und Zuschauende sich ermutigt fühlen, im eigenen Umgang mit Symptomen und Scham- oder Schuldgefühlen selbstbewusster umzugehen. Gleichzeitig können emotionale Geschichten auch einfach Aufmerksamkeit erregen und damit vielleicht auch die Reichweite von Content Creator:innen steigern. Und da kann natürlich auch ein wirtschaftliches Interesse mit reinspielen. 

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Eine Datenanalyse des BR hat gezeigt, dass User:innen von Tiktok, die Kontakt mit Videos haben, die von psychischen Problemen, Selbstverletzungen oder Suizidgedanken handeln, immer mehr dieser Inhalte ausgespielt bekommen und schnell der ganze Feed aus diesen Inhalten besteht. Wie problematisch sind solche Filterblasen?

Das ist sehr problematisch. Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, dass der (übermäßige) Konsum von Social Media per se nicht zuträglich für die mentale Gesundheit ist. Es geht bei Social Media sowieso schon um Likes, Aufmerksamkeit und Abhängigkeit. Ist eine Person in einer instabilen Situation und konsumiert zusätzlich diese Inhalte, können sie die Person triggern. Wenn eine Person tatsächlich depressiv ist und Suizidgedanken hat und Tiktok spült immer mehr Videos rein, die über Suizidpläne oder Versuche berichten, kann das den Gedankengang, dass das Leben sinnlos ist, verstärken. Und die Argumente, die dagegen sprechen, das eigene Leben zu beenden immer weniger präsent werden und durch die Filterblase, in die man geraten ist, die Argumente, um das eigene Leben zu beenden, plötzlich mehr Gewicht haben. Jemand könnte empfinden: "Das ganze Internet sagt mir, dass ich mich umbringen sollte." Das kann sehr destabilisierend wirken, gerade für junge Menschen, die mentale Probleme haben. 

Auf Social Media sind auch viele junge Menschen unterwegs. Was raten Sie Kindern und Jugendlichen, die den Verdacht haben, dass sie psychische Probleme haben?

Wer ein gutes Verhältnis zu den Eltern hat, findet in ihnen sehr gute Ansprechpartner:innen. Ansonsten sollten sich Jugendliche und Kinder an jemanden wenden, dem sie vertrauen. Das können Onkel, Tanten, Großeltern oder auch Lehrkräfte sein. An einigen Schulen gibt es auch Sozialpädagog:innen oder Schulpsycholog:innen. Wenn der Schritt zu groß ist, eine Person anzusprechen, gibt es auch Online-Angebote. Zum Beispiel "Krisenchat". Dort können sich junge Menschen bis 25 Jahre per Chat an ausgebildete Ehrenamtliche wenden. 

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Für Kinder und Jugendliche steht auch die Nummer gegen Kummer von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr zur Verfügung - die Nummer lautet 116 111.

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Author: Shelly Lambert

Last Updated: 1703717282

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